12. Januar 2023
von Manfred Loimeier
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NoViolet Bulawayos Roman „Glory“

So kann es funktionieren: Die Kritik an Diktatoren verpacken in eine Geschichte aus einer anderen Zeit oder einer anderen Wirklichkeit; als Parabel, die in der Vergangenheit oder der Zukunft spielt oder in einem fremden Land oder in einer anderen Welt, einer Märchenwelt vielleicht. Oder als Komödie, als theatralische Posse. Oder als Tierfabel, mit Krähen und Eseln.
In den Märchen und Legenden der afrikanischen Oratur sind Tiere – Löwen, Hyänen, Hasen – oftmals Stellvertreter für Menschen. Auch der britische Schriftsteller George Orwell (1903-1950) hat das in seinem Roman „Animal Farm“ (1945, „Die Farm der Tiere“) so gemacht – die Tiere, die Schweine eines englischen Farmers erheben sich gegen dessen Herrschaft, errichten dann aber eine Tyrannei, die schlimmer ist als je zuvor. So, wie es gerade auch im Kinofilm „The Triangle of Sadness“ zu sehen ist, wo dem Schiffbruch des Kapitalismus bloß die Diktatur des Proletariats folgt.

Getarnt als Diktatorenroman
Die simbabwische, überwiegend in den USA lebende Autorin NoViolet Bulawayo (*1981) – bekanntgeworden durch ihr Debüt „We Need New Names“ (2013, „Wir brauchen neuen Namen“) – hat ihren neuen Roman „Glory“ (2022) ebenfalls in diese literarische Linie der als Komödie getarnten Diktatorenbücher hier über Simbabwe gestellt.
Das Figurentableau ist unschwer zuzuordnen. Da ist das Alte Ross (Robert Mugabe), der sich in seinem dementen Selbstbild und dem vergangenen Ruhm suhlt, dabei das fiktive Land Jidada in den Ruin treibt und schließlich des Amtes enthoben wird; da ist die elegante Eselin (Grace Mugabe), die selbst nach dem höchsten Amt strebt; da ist das Junge Ross Tuvy (Emmerson Mnangagwa), das mit Hilfe des Militärs und eines Zauberers an die Staatsspitze katapultiert wird und dann so agiert, dass die Jahre unter dem Alten Ross fast als Idyll erscheinen.

Erst Komödie, dann Tragödie
Was zu Beginn des Romans „Glory“ (Suhrkamp, 460 Seiten, 25 Euro) noch als bittere Komik wirkt, wird bald zur Tragödie, weil die Handlung des Buches schlicht die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in Simbabwe spiegelt. Zumal laut Bulawayo früh absehbar war, dass der frühere Freiheitsheld Mugabe sein Regime auf Terror und Gewalt stützte.
Die simbabwische Schriftstellerin Yvonne Vera (1964-2005) beschrieb das schon in ihrer Kurzgeschichte „Unabhängigkeitstag“ (in: 1992 „Why don’t you carve other animals“, „Seelen im Exil“), in der einerseits die Flagge der Briten der neuen Flagge Simbabwes weicht und andererseits eine junge Frau missbraucht wird.
„Independence“, Unabhängigkeit, ist entsprechend auch das erste Kapitel in Bulawayos Roman betitelt, in dem die Autorin noch viele weitere literarische Anspielungen auf das Werk Veras vornimmt. Schmetterlinge flattern durch den Roman „Glory“ und erinnern an Veras „Butterfly Burning“ (2000, „Schmetterling in Flammen“), die Freiheitskämpferin Mbuya Nehanda (1840-1898) findet ebenso Erwähnung wie in Veras Debütroman „Nehanda“ (1995, „Nehanda“), und gegen Ende ihres Romans enthüllt Bulawayo die Anspielungen auf Veras Bücher selber.
Da vergleicht sie den Tod ihrer Protagonistin Destiny mit dem Tod Nehandas – aber während Nehanda von den Briten gehängt wurde, wird Destiny von simbabwischen Militärs hingerichtet, als sie bei einer öffentlichen Protestveranstaltung einen Text rezitiert. Das Regime unterdrückt die Bevölkerung so, wie es die Kolonialherren vorlebten.

Vorwurf des Völkermords
Die aus dem Exil zurückgekehrte Destiny – sie trägt autobiografisch geprägte Züge Bulawayos – mahnt an die Position der Intellektuellen in Simbabwe, wie der Schriftstellerin und Filmemachern Tsitsi Dangarembga (*1959), die im September 2022 mit der Journalistin Julie Barnes zu einem halben Jahr Gefängnis beziehungsweise fünf Jahren Bewährung verurteilt wurde. Sie hatten an einer Demonstration gegen Korruption teilgenommen und wurden der Volksverhetzung für schuldig befunden.
Der schwerste Vorwurf, den Bulawayo gegen den langjährigen Präsidenten Simbabwes erhebt – und der sich auch durch das Werk Veras zieht, die wie Bulawayo aus Bulawayo stammt, der Stadt im Süden des Landes –, ist indes derjenige des Völkermordes an der Volksgruppe der Ndebele.

Regime des Hasses
Nach dem gemeinsamen Unabhängigkeitskampf gegen Apartheid-Machthaber Ian Smith begann 1980 ein Bürgerkrieg zwischen Robert Mugabe und Joshua Nkomo, in dem Mugabe die ethnische Karte zog und die Volksgruppe der Shona gegen Nkomos Volksgruppe der Ndebele aufhetzte. Mugabes „Gukurahundi“, wie er die „Säuberungsaktion“ nannte, fielen 1982 bis 1987 Zehntausende Ndebele zum Opfer. Wer so einen Völkermord begeht, der kann nur ein Regime des Hasses und des Tötens errichten, heißt das laut „Glory“. Und dass am Ende von Bulawayos Roman die Militärs ihre Uniformen ablegen und sich auf die Seite der Demonstranten stellen, ist derzeit weniger eine Option als eine literarische Vision.

Der Zauber des Ndebele
Wobei die literarische Qualität des Romans „Glory“ neben der politischen Brisanz des Buchs eine eigene Dimension darstellt. Bulawayo fabuliert, formuliert Twitter-Nachrichten, karikiert Schlagworte, experimentiert mit dem Schriftbild, nutzt Rhythmik und Wiederholungsschleifen afrikanischer Erzählweisen, lässt Magie und Zauberei wirksam werden und integriert Redewendungen aus und in ihrer Sprache, dem Ndebele.
Und so ist der Roman „Glory“ ein grandioses Buch mit einem aktuellen politischen Thema und in einer einzigartigen Sprache.

Siehe dazu auch meinen Beitrag für den Saarländischen Rundfunk am 15.2.2023:
https://www.sr.de/sr/mediathek/audio/SR2_SR2_DN_7232.html