08. November 2020
von Manfred Loimeier
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„Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven“ von Zora Neale Hurston


Wenig bekannt sind die afroamerikanischen Autorinnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA über den Alltag der schwarzen Bevölkerung dort schrieben. Eine von ihnen ist Zora Neale Hurston, die zu ihrer Zeit eine der bekanntesten Schriftstellerinnen war. Nun ist – auch in deutscher Übersetzung – ein Buch von Zora Neale Hurston erschienen, das ein besonderes historisches Dokument darstellt: Baracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven.

Rund 90 Jahre hat es gedauert, bis dieses Buch einen Verlag fand, geschrieben von einer Autorin, die zu den maßgeblichsten Stimmen der afroamerikanischen Literatur zählt. Zora Neale Hurston heißt diese Autorin, 1891 geboren, 1960 gestorben. Wiederentdeckt wurde sie in den 1970er Jahren von der Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker. Einer von Hurstons vier Romanen liegt schon seit 1993 auf Deutsch vor – „Vor ihren Augen sahen sie Gott“ –, ebenso wie Hurstons Autobiografie „Ich mag mich, wenn ich lache“. Zu erzählen hatte die Autorin viel, gehörte sie doch zu den Intellektuellen der sogenannten Harlem Renaissance, die insbesondere zwischen den beiden Weltkriegen das Leben der Schwarzen in den USA aus eigener Sicht schilderten.

Zudem war Hurston nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Anthropologin und Völkerkundlerin – und dafür liefert ihr nun ebenfalls ins Deutsche übersetzte Buch „Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven“ den Beweis (Penguin Verlag, 223 Seiten). Es beruht auf Interviews mit Oluale Kossula, vereinfachend Cudjo Lewis genannt, dem letzten Überlebenden des Sklavenhandels. Es muss seinerzeit geradezu einen Run der Harlem-Renaissance-Autoren auf Kossula gegeben haben, doch allein Hurston nahm sich die Zeit, im Jahr 1927 immer und immer wieder den damals 86-Jährigen ausführlich zu befragen. Mit dem letzten Sklavenschiff war er 1860 in die USA gekommen, hatte als Sklave in einer der Barracoons, der Baracken, gelebt, bis er nach Abschaffung der Sklaverei 1865 in den USA die Freiheit erlangte. Nach seinem Tod wollte er begraben sein wie in Afrika – was genug aussagt über seine Jahre in den USA.

„Es war ein heißer Samstagnachmittag, als ich Kossula fotografieren kam. „Freut mich, dass du ein Bild von mir machst. Ich will sehen, wie ich aussehe. Vor langer Zeit hat mal jemand ein Bild von mir gemacht, aber hat mir nie eins gegeben. Gib du mir eins.“ Ich versprach es. Er ging hinein, um sich für das Bild zurechtzumachen. Als er herauskam, sah ich, dass er seinen besten Anzug an-, aber die Schuhe ausgezogen hatte. „Ich will aussehen wie in Afrika, weil das ist, wo ich sein will“, erklärte er. Er bat auch, auf dem Friedhof zwischen den Gräbern seiner Familie fotografiert zu werden.“

„Barracoon“ ist aber nicht einfach ein abgetipptes Interview, sondern aufgrund der Frageweise Hurstons ein ethnografisches, wissenschaftliches Dokument. So erzählt Kossula von seiner Kindheit in Westafrika und von den gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen dort. Dabei zeichnen weder Hurston noch Kossula ein idealisiertes Bild von Afrika.

„Als die Sonne aufgeht, essen wir und marschieren weiter nach Dahomey. Der König sagt jeder Stadt auf unserm Weg Bescheid, und das Oberhaupt kommt raus. Wenn sie eine rote Flagge draußen haben, heißt das, sie haben beschlossen, sie zahlen an Dahomey keine Steuern. Sie sagen, sie werden kämpfen. Wenn es eine weiße Fahne ist, zahlen sie an Dahomey, was von ihnen verlangt wird. Wenn es eine schwarze Fahne ist, heißt das, der Herrscher ist tot und der Sohn ist nicht alt genug für den Thron. In Afrikaland, wenn sie die schwarze Fahne sehen, machen sie nichts. Sie wissen, es wäre ungleich, wenn sie Krieg führen, wo niemand die Macht hat.“

Dass so etwas in den 1920er Jahren Literatur wurde, ist sensationell, sprach man damals den afrikanischen Völkern doch gemeinhin Zivilisiertheit und staatliche Lebensformen ab.

Aufsehen erregte das Manuskript aber auch deshalb, weil Hurston in dessen Vorveröffentlichung als akademischer Aufsatz weitere Quellen einarbeitete – und diese angeblich nicht kennzeichnete. Ungeklärt ist das bis heute, im Vorwort zu „Barracoon“ sind die verwendeten Materialien jedenfalls genannt.

Bemerkenswert ist das Buch aber auch deshalb, weil es – selbst in der aktuellen Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring noch erkennbar – im Jargon Kossulas bleibt. So sind der deutschsprachigen Ausgabe einige Abschnitte im englischen Original beigefügt. Zahlreiche Anmerkungen, eine etwas betuliche Einleitung der Herausgeberin Deborah G. Plant sowie ein Glossar informieren über den Kontext der erzählten Zeit und der geschilderten Begebenheiten. Und auch deshalb ist „Barracoon“ absolut lesenswert, sogar noch nach 90 Jahren.