05. Mai 2022
von Manfred Loimeier
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Erinnerungen von Scholastique Mukasonga und Chimamanda Ngozi Adichie an Mutter und Vater

Mit ihrem Roman „Die heilige Jungfrau vom Nil“ über den Völkermord in Ruanda ist die ruandische, seit 30 Jahren in Frankreich lebende Autorin Scholastique Mukasonga vor einiger Zeit auch hierzulande bekanntgeworden. Nun liegt mit ihrem neuen Buch „Frau auf bloßen Füßen“ ein Text vor, der dem Andenken an ihre Mutter gewidmet ist. Allein schon der Titel des ersten Kapitels, „Die Kinder retten“, zeigt, dass es bei diesem Buch nicht allein um die Dokumentation einer zerstörten Lebenshaltung und Denkweise geht, sondern auch um die Bewusstmachung, dass die Verfolgung der Tutsi-Minderheit – von Schikanen über Umsiedelung bis zu Vergewaltigungen und Morden – schon weit vor dem Genozid im Jahr 1994 üblich war.
Dass Mukasonga dies in einem ruhigen, friedlich klingenden und sehr anschaulichen Tonfall schildert, spricht für die Kraft, die es braucht, sich nicht verbittern zu lassen. Ohnedies steht dieses Buch in einer Tradition des (auto-)biografischen Schreibens innerhalb der afrikanischen Literaturen, bei dem es nicht so sehr um persönliche, individuelle Selbstbespiegelung geht, sondern darum, anhand eines Lebenswegs gesellschaftliche Schicksale und Lebensläufe allgemein zu schildern – und damit Mut zu machen und Beispiel zu geben für ein Überleben nach den Werten der Mitmenschlichkeit.
So ist „Frau auf bloßen Füßen“ auch weit entfernt von einer Verklärung oder gar Idealisierung eines vergangenen Alltags. Schilderungen von Traditionen wie Brautwerbung, Brauen von Hirsebier oder Ansetzen eines Brotteigs illustrieren vielmehr einen Wertehorizont, der das Zusammenleben einer Gemeinschaft sicherstellt – und dessen Wegfall eine zersplitternde Gesellschaft hinterlässt, wird der Wertekanon nicht neu definiert. Das Leben eines Volkes kann mithin ausgelöscht werden, bevor und ohne dass gegebenenfalls ein Völkermord dessen Schicksal besiegelt.
Verlust und Liebe
Zu dieser Art des (auto)biografischen Schreibens, mit dem gesellschaftliche Werte gestützt und in den Vordergrund gestellt werden, zählt auch ein schmales Bändchen, das die nigerianische Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie geschrieben hat.
„Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“ heißt es und zeugt von der Kraft, angesichts eines schlimmen Schicksalsschlags nicht zu verzweifeln, sondern ihn ins Ermutigende lenken zu können. Adichie errichtet hier ihrem gestorbenen Vater ein Denkmal, und die tiefe Trauer und Verzweiflung werden zum Ausdruck dessen, was tief empfundene Liebe ist. Und so ist „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“ keine Trauerrede, sondern trotz des Verlustempfindens eine Hymne auf eine Vater-Kind-Beziehung und ein Zeugnis für den Respekt für die Elterngeneration.
Das alles drückt Adichie freilich nur zwischen den Zeilen aus, aber genau das ist es, was diese beiden Bücher so lesens- und schätzenswert macht: Es geht nicht um eine Unterrichtsstunde in Lebensweisheit, sondern um Wertschätzung für das Leben und das Erlebte. Und das ist jederzeit ein wichtiges Leitmotiv – und in diesen Tagen ganz besonders.
Scholastique Mukasonga: Frau auf bloßen Füßen. Peter Hammer, 157 S., 22 Euro
Chimamanda Ngozi Adichie: Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. S. Fischer, 76 S., 16 Euro