17. August 2019
von Manfred Loimeier
0 Kommentare

Felwine Sarr und sein „Afrotopia“

 

Glanzvolle Worte

Allein, was „die Wirtschaft angeht, so sind seit Mitte der 2000er-Jahre auf dem afrikanischen Kontinent zahllose wirtschaftliche Zukunftsvisionen formuliert worden“, schreibt der augenblicklich hochgefeierte senegalesische Essayist Felwine Sarr in seinem bereits in zweiter Auflage vorliegenden Band „Afrotopia“. Mit seinem Buch legt er aber nur eine weitere Vision vor – und speist sie mit genau denjenigen, als westlich verbrämten Argumentationsfloskeln, von denen sich Afrika, Sarr zufolge, emanzipieren muss.

Afrika solle nämlich endlich zu sich finden, seinen eigenen Weg entwickeln und gehen sowie sich nicht mehr an den Normen und Standards Europas und der USA orientieren, schreibt Sarr mit blumigen Metaphern. Dazu müsse Afrika seine Rohstoffe selbst weiterverarbeiten, seine Bürger ausbilden und seine Kulturen auf den afrikanischen Traditionen aufbauen, ohne auf Errungenschaften des Westens zu verzichten. An afrikanischen Universitäten sollten afrikanische Belange im Vordergrund stehen, und vor allem: Afrika benötige eine eigene ökonomische Forschung, die eigene Wirtschaftskonzepte erarbeite.

Das alles ist nicht neu, vielmehr teilweise schon seit Jahrzehnten wiederholt. Die Dekolonisierung des Denkens und der Universitäten forderte der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong’o bereits in den 1960er Jahren, das Fortbestehen afrikanischer Traditionen in einer gleichzeitig wirkenden Moderne beschreiben Schriftsteller aus Afrika in Hunderten von Romanen seit den Unabhängigkeiten afrikanischer Staaten. Geradezu erschütternd ist, dass Sarr diese Anliegen erneut vorbringen muss, denn das zeigt nur, wie wenig davon bisher verwirklicht wurde.

Sarr legt sein Postulat sehr plakativ und durchaus gefällig dar, und genau das verleitet dazu, allzu leicht zu übersehen, in welchem Zusammenhang Sarr hierbei spricht. Dass ein Einzelner heutzutage überhaupt noch den Anspruch erhebt, für ganz Afrika sprechen zu wollen, entblößt die Vermessenheit von Sarrs Anliegen, wenngleich es in das Deckmäntelchen einer Utopie gekleidet ist. Konkretere Schritte, wie Afrika „zu sich selbst finden“ kann, weiß Sarr nicht, nur, dass „es sich aus der Konkurrenz“ zurückziehen muss, „um sich selbst zu erwecken“. Im Gegensatz dazu formuliert Sarr am Ende seines Büchleins aber selbstentlarvend das Versprechen, dass einst „Afrika wieder das spirituelle Zentrum der Welt sein“ wird, er es also doch im globalen Wettbewerb und darin ganz oben sieht. Make Africa Great Again – ein vergleichbarer Nationalismus war unlängst von einer wirklichen Weltmacht zu hören, und davon wollte Sarr Afrika eigentlich emanzipiert sehen.

Felwine Sarr: Afrotopia. Aus dem Französischen von Max Henninger. Matthes & Seitz Verlag, Berlin, 176 Seiten, 15,99 Euro