21. Juni 2021
von Manfred Loimeier
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Friedenpreis des deutschen Buchhandels geht an Tsitsi Dangarembga

Als im Jahr 1991 in deutscher Übersetzung der Roman „Der Preis der Freiheit“ der bis dahin unbekannten Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe erschien – übersetzt von dem damals ebenfalls noch unbekannten Verleger und Autor Ilija Trojanow – änderte das das Leben zahlreicher Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Raum ebenso drastisch wie ihre Wahrnehmung von Afrika.

Bis 1993 verkaufte sich der Roman mit dem Originaltitel „Nervous Conditions“ in vier Auflagen 23 000 Mal, eine Sensation für Buchtitel aus Afrika, die sonst in Deutschland meist nur über den Verkauf in sogenannten Dritte-Welt-Läden vertrieben wurden und bestenfalls 5000  Exemplare erzielten. Maßgeblich für den Erfolg war das Erscheinen in der Rowohlt-Reihe rororo: Neue Frau, was viel auch darüber aussagt, dass das Buch zunächst eher aus politischen statt aus literarischen Gründen zum Bestseller wurde.

Dangarembga gelang mit diesem Roman über ein Mädchen, das nur deshalb zur Schule gehen darf, weil ihr dafür vorgesehener Bruder stirbt, und die sich in einer Altherrengesellschaft zu behaupten lernen muss, ein Superlativ: Tsitsi Dangarembga ist die erste Frau aus Simbabwe, die einen englischsprachigen Roman nicht nur schrieb, sondern ihn auch publizieren konnte. Das war 1988, als das Buch auf Englisch erschien, fürwahr nicht selbstverständlich – noch war die Apartheid im südlichen Afrika Alltag, das Verlagswesen europazentriert. Und doch war es ein Verlag aus London, der das Buch nach vier Absagen in Simbabwe heraus und die Autorin bekanntmachte. 1989 erhielt sie dafür den Commonwealth Writers’ Prize für Afrika, und obwohl sich ihr Roman fast wie ein autobiografischer Bericht liest, so ist er das nicht.

Dangarembgas Eltern waren bildungsbeflissene Lehrer, vier Jahre ihrer frühen Kindheit verbrachte sie in Großbritannien. Zurück in Simbabwe machte Dangarembga an einem Elite-Gymnasium Abitur, begann ein Psychologie-Studium und schrieb noch an der Universität erste Theaterstücke. Das ist nämlich auch das Besondere an Dangarembga: Sie ist nicht nur Prosa-Autorin, sondern eben auch Dramatikerin, Drehbuchautorin und vor allem Regisseurin.

1989 begann sie an der Filmakademie in Berlin ein Regie-Studium, und ihr Drehbuch zum Film „Neria“, der 1993 beim Festival des Panafrikanischen Films in Ouagadougou gezeigt wurde und das Schicksal von Witwen schildert, denen unter Bezug auf das patriarchale traditionelle Recht das rechtmäßige Erbe vorenthalten wird, löste eine brisante Debatte in Simbabwe aus. 1996 schuf Dangarembga mit dem Film „Everyone’s Child“ über vier Aids-Waisen den ersten Spielfilm einer Frau aus Simbabwe – noch so ein Superlativ.

Fortan war das Kino Dangarembgas beliebtestes Genre – ihre Filmografie verzeichnet 21 Werke, die jüngsten davon in ihrer Heimatsprache Shona. Und obwohl sie mit ihrer Familie im Jahr 2000 von Berlin wieder nach Simbabwe zog, blieb die deutsche Hauptstadt ein Zentrum ihres künstlerischen Arbeitens.

2019 kuratierte sie das Afrikanische Literaturfestival in Berlin, und das führte dazu, dass ihr hierzulande inzwischen wieder in Vergessenheit geratener Roman „Der Preis der Freiheit“ neu und unter einem anderen Titel erschien.

Der Orlanda-Frauenverlag in Hamburg publizierte ihn in der alten Übersetzung unter dem Titel „Aufbrechen“ und legte in diesem Jahr mit „Überleben“ den dritten Band ihrer Romantrilogie vor. „This Mournable Body“ heißt er im Original, erschien 2018 und stand im Vorjahr auf der Shortlist zum Man Booker Preis.

In jenem Jahr 2020 wurde Dangarembga in Harare, der Hauptstadt Simbabwes verhaftet, weil sie an einer Demonstration gegen die Korruption in ihrem Land teilgenommen hatte.

Seit längerem schon arbeitet Dangarembga an einer Dissertation über afrikanischen Film – und zwar wieder an der Humboldt-Universität zu Berlin. So ist Dangarembga eben nicht nur eine hochprofessionelle Filmemacherin, sondern trotz ihrer spärlichen literarischen Produktion auch eine brillante und engagierte Schriftstellerin.