08. November 2020
von Manfred Loimeier
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„Im Herzen des goldenen Dreiecks“ von Petina Gappah

Mit einem Erzählungsband ist die Autorin Petina Gappah aus Simbabwe im Jahr 2009 in Großbritannien bekannt geworden. Seither schrieb sie Romane, einen weiteren Erzählungsband, erhielt Literaturpreise und Stipendien. Ihr Werk liegt weitgehend in deutschsprachiger Übersetzung vor, und nun ist auch ihr Band von 2009 auf Deutsch erschienen.

Mit ihren beiden Romanen „Die Farben des Nachtfalters“ sowie „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht“ und mit ihrem Erzählungsband „Die Schuldigen von Rotten Row“ hat sich die simbabwische Schriftstellerin Petina Gappah auch in Deutschland einen Namen gemacht. Die Rotten Row genannte Straße kommt zudem im neuen Erzählungsband Gappahs vor, denn fast alle Stories darin spielen in der Siedlung am Rand einer simbabwischen Großstadt. „Im Herzen des goldenen Dreiecks“ lautet der Titel dieses Erzählungsbands, doch so neu ist er genau genommen nicht – es handelt sich dabei um Gappahs erstes Buch, „An Elegy for Easterly“, das nun eben auch auf Deutsch vorliegt (Arche Verlag, 269 Seiten).

Doch schon diesen ersten Erzählungen Gappahs ist anzumerken, dass die studierte Juristin, die einige Jahre in Graz sowie als Anwältin in Genf lebte, eine Vorliebe für die Geschichten des Schriftstellers Ferdinand von Schirach hat. Auch Gappah schreibt ähnlich lakonisch, schildert Fakten geradezu unbeteiligt, und immer steht novellengleich ein besonderes Geschehen im Mittelpunkt ihrer Geschichten.

Ist Gappahs Originalband nach der Erzählung „Elegie auf Easterly“ benannt, nimmt der deutsche Titel mit der Erzählung „Im Herzen des goldenen Dreiecks“ einen bezeichnenden Perspektivwechsel vor. „Elegie auf Easterly“ schildert, wie eine Frau in einer informellen Siedlung vom Ehebruch ihres Mannes und damit vom Missbrauch an einer geistig behinderten Frau erfährt, der sie dann das Kind stiehlt. Dagegen ist die Erzählung „Im Herzen des goldenen Dreiecks“ aus der Sicht einer privilegierten Dame geschrieben, die vom Alltag in den Slums nicht die geringste Ahnung hat – und sich ihr Leben dennoch anders vorgestellt hat.

„Du siehst das Mädchen wieder vor dir, das du mit sechzehn warst, immer kehrst du in Gedanken dahin zurück, du mit sechzehn, von anderen Schülerinnen umringt in einer Welt, in der es einzig und allein um Leistung ging. Wer bekommt die besten Noten, wer rennt am schnellsten, wem fallen die besten Streiche ein, um die Nonnen zu ärgern. Du hast dich gefreut, als du vor ein paar Tagen einer alten Schulfreundin begegnet bist, und ihr lagt euch gleich in den Armen. Habt vor Wiedersehensfreude laut gerufen. Weißt du noch, weißt du noch?“

Gappah schreibt von Machenschaften in Regierungskreisen, von Auseinandersetzungen mit Behörden, von Aids, tödlicher Lebenslust auf Tanzbühnen, von Internetbetrügern, den Arbeitsbedingungen von Hausmädchen und von benachteiligten Frauen. Dabei werden immer Kluften erkennbar – zwischen sozialen Schichten, den Geschlechtern, Ehepartnern oder Familien. Und damit handelt dieser Erzählungsband von der Kraft der Individuen, die diese Brüche tagtäglich bestehen und meistern müssen.

Vorhaltungen und moralische Rügen sind Gappahs Sache dabei nicht – sie schildert ihre Szenen nüchtern und lässt ihre Leserschaft entscheiden. Gappah selbst verurteilt ihre Figuren nicht, die für sich allein zwischen Recht und Unrecht abwägen müssen und sich bisweilen auch für Unrecht entscheiden.