11. November 2020
von Manfred Loimeier
0 Kommentare

Nancy Cunard’s ,Negro‘ – herausgegeben von Karl Bruckmaier

Dieses Buch erscheint zum richtigen Zeitpunkt auf Deutsch: der Sammelband „Negro“, herausgegeben von Nancy Cunard (Kursbuch Edition, 277 Seiten). Die Tochter aus dem Imperium der gleichnamigen Schifffahrtslinienbesitzer interessierte sich seinerzeit, in den 1930er Jahren, weniger für betriebswirtschaftliche Fragen als vielmehr für die Kultur der afroamerikanischen wie der afrokaribischen Bevölkerung. Und ihr Ehrgeiz, der sie zuletzt finanziell wie psychisch ruinierte, war es, 1934 ein Kompendium der kulturellen Ausdrucksvielfalt von Afroamerikanern vorzulegen, ein Standardwerk der sogenannten Harlem-Renaissance-Autoren.

Harlem Renaissance – das meint den künstlerischen Aufbruch im New York der Zwischenkriegszeit, als Musiker und Autoren den Jazz und die afroamerikanische Literatur zur Hochblüte brachten. Ebendiese Vielfalt will der Band „Negro“ abbilden – und tut das er fürwahr mit einer beeindruckenden Vielfalt, die trotz der „knappen“ Auswahl an Texten für die deutsche Ausgabe ein stimmungsvolles Abbild jener New Yorker Kulturszene gibt. 855 Seiten hatte der Band im Original, 277 sind es auf Deutsch, und dennoch sind die großen Stimmen ebenso vertreten wie hierzulande unbekanntere Autoren: Countee Cullen, W.E.B. DuBois, Langston Hughes und Zora Neale Hurston ebenso wie Carrie Williams Clifford oder John L. Spivak.

Vorgenommen hat die Auswahl der Hörspielautor und Musikjournalist Karl Bruckmaier, der zudem alle Texte kundig ins Deutsche übersetzte und dabei vielleicht ein bisschen zu sehr auf kapriziösen Slang setzte. Seinem Knowhow aber ist es zu verdanken, dass gerade auch aufschlussreiche Beiträge über die Musik in den Südstaaten, über Blues und Gospel nachzulesen sind, so dass die Harlem Renaissance zu recht nicht nur als literarisches, sondern auch als musikalisches Phänomen gefeiert wird. Hinzu kommen einige europäische Stimmen der französischen Surrealisten, die von der afroamerikanischen Kultur angetan waren, wobei hier auch gut ersichtlich wird, wie beiderseits auch Klischees und Stereotypen – vom afrikanischen Menschen als musikalischem Naturtalent –  geprägt und vervielfältigt wurden.

Ungeachtet dessen gilt: Wer aus erster Hand erfahren möchte, wie der Alltag der afroamerikanischen Bevölkerung im New York jener Zeit aussah, wie Ausgrenzung und Unterdrückung damals erlebt wurden und bis heute nachhallen, welche klare Botschaften mit Top-Hits der Jazzmusik einhergingen, wovon heute kein Begriff mehr herrscht, für den ist „Negro“ eine Fundgrube ohnegleichen und ein verlegerisches Meisterwerk in bester Ausstattung samt Fotografien obendrein.