23. Dezember 2018
von Manfred Loimeier
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Ngugi wa Thiong’o und die Dekolonisierung des Denkens

Soeben in zweiter Auflage erschienen ist der Band „Dekolonisierung des Denkens“, ein Klassiker des Postkolonialismus, geschrieben von Ngugi wa Thiong’o.

Seine These klingt heutzutage vollkommen einleuchtend, war 1986 aber, als der kenianische, in den USA lebende Schriftsteller Ngugi wa Thiong’o sie in seinem Essayband „Dekolonisierung des Denkens“ darlegte, provokant: Dass die Unabhängigkeit früherer Kolonialgebiete von den Imperien des Westens nicht nur eine Frage der politischen und der wirtschaftlichen Emanzipation ist, sondern auch der geistigen, intellektuellen Selbstbestimmung. Seinerzeit machte Ngugi, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte und seit Jahren schon als Kandidat für den Literaturnobelpreis gilt, das vor allem an der Sprache fest, in der Autoren aus Afrika schreiben.

Ngugi verlangte damals mehr literarische Publikationen in afrikanischen Sprachen – und hat damit, im Rückblick betrachtet, erheblich zum Selbstbewusstsein afrikanischer Intellektueller beigetragen. Heute eröffnen europäische Verlage Filialen in afrikanischen Staaten und konzentrieren sich auf den Wachstumsmarkt afrikanischsprachiger Belletristik, Poesie und Essayistik. Und an den Universitäten häuft sich die Kritik an der Konzentration des Wissens in den Bibliotheken des Westens und wird der Zugang auch afrikanischer Akademiker zum wissenschaftlichen Diskurs eingefordert.
Und so ist der Essayband „Dekolonisierung des Denkens“ in seiner Thematik einerseits zwar nicht gerade neu, in seiner thematischen Aktualität aber geradezu unübertroffen. Dass Ngugi diesen Band seinerzeit überdies als Gastprofessor in Bayreuth, mithin in Deutschland konzipierte, ist ein Grund mehr, sich endlich der Lektüre zu stellen. Hinzu kommt, dass die deutschsprachige Ausgabe um wirkungsgeschichtliche Essays ergänzt wurde, in denen renommierte Autoren wie der senegalesische Schriftsteller Boubacar Boris Diop, die simbabwische Schriftstellerin Petina Gappah oder der kamerunische Historiker Achille Mbembe, der jüngst zum Ernst-Bloch-Preisträger 2018 ausgerufen wurde, die Spuren schildern, die Ngugis Schrift in den Literaturen Afrikas hinterließ.
Ngugi wa Thiong’o: Dekolonisierung des Denkens. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Unrast Verlag, 269 S., brosch., 18 €.

Über das Werk von Ngugi wa Thiong’o erschien meine Monografie „Ngugi wa Thiong’o“ im Frühjahr 2018 in der Reihe „schreiben andernorts“ in der edition text+kritik, München