14. Mai 2021
von Manfred Loimeier
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Patrice Nganang erinnert in seinem Roman „Spur der Krabbe“ an frühe Demokratiebewegungen in Kamerun

Nein, es ist kein Geschichtsbuch, aber es ist ein historischer Roman. Dabei beginnt das neue Buch des kamerunischen Autors Patrice Nganang, „Spur der Krabbe“ (aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke; Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2021, 484 Seiten, 26 Euro), in den USA der Gegenwart. Die männliche Hauptfigur Tanou lebt dort mit Ehefrau Angela und Tochter Marie – und neuerdings auch mit Vater Sakio Nithap. Tanou hat ihn für eine ärztliche Behandlung aus Kamerun in die USA geholt, und ein Schneesturm hat dessen Aufenthalt unvorhersehbar verlängert.
Rasch macht Sakio die Bekanntschaft mit einem benachbarten Ehepaar, und gemeinsam fahren sie alle nach Fredericksburg, wo eine entscheidende Schlacht des US-amerikanischen Bürgerkriegs nachgestellt wird. Dort beginnt Sakio zu erzählen, von einem Krieg in Kamerun, an den sich kaum jemand erinnert.

Etwas Kenntnis kamerunischer Geschichte schadet der Lektüre nicht: Als die französische Kolonialmacht in den 1950er Jahren eine gewogene Zentralregierung einsetzte, protestierte dagegen eine Volksgruppe im Westen des zentralafrikanischen Landes. Was daraus erwuchs, nennen die einen Bürgerkrieg, die anderen Kampf um Unabhängigkeit. Nun sind die Namen anderer afrikanischer Freiheitshelden durchaus geläufig – Patrice Lumumba in Kongo, Thomas Sankara in Burkina Faso –, aber wer weiß schon von Ernest Ouandié, dem 1971 hingerichteten politischen Führer der oppositionellen Partei der Völker Kameruns?

Hier wird der Roman Nganangs angesichts der Wirren und politischen Auseinandersetzungen leicht unübersichtlich – hier wird aber auch klar, dass das Buch „Spur der Krabbe“ weniger von einem vorgeblichen Vater-Sohn-Konflikt berichtet, sondern eben von einem seit langem vergessenen Abschnitt der kamerunischen Geschichte.

Nganang erzählt seine Geschichte mit spürbarem Stolz auf die Kultur der Bamileke, der Volksgruppe im Westen des Landes. Zwei Romane hat Nganang dieser Zivilisation schon gewidmet, „Spur der Krabbe“ ist nach „Der Schatten des Sultans“ und „Zeit der Pflaumen“ der dritte. Eine eigene Schrift, das Bagam, hatte dieses widerständige Volk einst sogar entwickelt, und das Bamileke, die Sprache also, besteht aus mindestens einem Dutzend Unterformen. Kein Wunder, dass Nganang entsprechend auch mit Sprichwörtern und Fußnoten arbeitet, mit Liedern und Tänzen, mit Bagam-Schriftzeichen und Gedichten.

So ist „Spur der Krabbe“ ein ungemein reichhaltiger Roman, den Gudrun und Otto Honke flüssig ins Deutsche brachten. Woher der Titel rührt, gerät angesichts der thematischen Fülle fast schon aus dem Blick: Die Krabbe war das Symbol der Oppositionspartei. Und der Autor Nganang wird nun eine Weile wieder nicht nach Kamerun einreisen dürfen: Vor vier Jahren wurde er bei der Einreise wegen „Beleidigung des Präsidenten“ inhaftiert und erst auf internationalen Druck hin nach drei Wochen wieder entlassen.

 

Zu seinen Büchern habe ich mit Patrice Nganang gesprochen:

Herr Nganang, Sie lebten in Deutschland, sie leben in den USA – aber Sie schreiben weiterhin über Kamerun. Was lässt Sie nicht los?

Patrice Nganang: Ich leide unter dem Gefühl, dass es so viele Sachen gibt, die man erzählen muss. Es gibt so viele Geschichten, die noch nicht erzählt worden sind, die noch verschwiegen sind. Jedes Mal, wenn ich in Kamerun, in Afrika bin, höre ich so wahnsinnig interessante Geschichten, die keiner bisher aufgegriffen hat. Es ist ein Schatz, der da liegt.

Während Ihres Studiums in Frankfurt haben Sie sich auch viel mit Film befasst. Wie kam es zu dieser sehr intensiven Auseinandersetzung?

Patrice Nganang:  Ich habe mich viel mit Film beschäftigt, zuerst mit afrikanischem Film, aber dann habe ich verstanden, dass man afrikanische Filme gar nicht verstehen kann, wenn man nicht in den Archiven die Filme gesichtet und analysiert hat, die über Afrikaner gemacht worden sind. Sehr viel von ihnen sind in der Kolonialzeit gemacht worden, von Deutschland, Frankreich, England, Belgien. Ich habe in Berlin zwei Jahre lang Filmarchive besucht, Filme angeschaut, Horrorgeschichten gesehen. Ich habe nie vermutet, dass Afrika so viel Gewalt angetan wurde. Wenn man einen Film sieht, der die Kolonialzeit lebendig zeigt, und wenn man sein Dorf während der Kolonialzeit sieht, kann man weinen, und wenn man hört, was über das Dorf gesagt wird, wird man wütend.

Für Ihre Romane recherchieren Sie vor Ort in Kamerun. Wie gehen Sie da vor?

Patrice Nganang: Ich habe dort Hunderte von Filmen in Archiven lagern gesehen, über die man unbedingt reden sollte. Ich habe dort in Zeitungsarchiven recherchiert. Ich habe kamerunische Zeitungen der 1950er, 1960er Jahre gelesen. Es ist unglaublich, was damals in Kamerun passiert ist. Ich hatte gar keine Ahnung davon, welche Meinungen die Leute vertreten haben, und aus welchen Perspektiven diese Meinung entstanden sind. Das ist wahnsinnig spannend! Es gibt Hundertausende, Millionen von Geschichten, die erzählt werden müssen!