01. September 2023
von Manfred Loimeier
0 Kommentare

Sabine Müller und Holger Fock übersetzen Mohamed Mbougar Sarr

Sabine Müller und Holger Fock leben bei Heidelberg und zählen zu Deutschlands besten Übersetzern. Auch den mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohamed Mbougar Sarr haben sie ins Deutsche übertragen.

Wie arbeiten Sie zusammen? Setzen Sie sich gemeinsam an den Text, oder arbeiten Sie abschnittsweise?
Holger Fock: Einer von uns beiden macht die Roh-, die Erstübersetzung. Dazu gehören auch Recherchen – Anspielungen, Zitate. Dann geht es zum anderen, der überarbeitet es und schickt es zurück. Dann wird es wieder überarbeitet, und bei schwierigen Büchern wie bei Sarr kann es schon sechs, sieben Überarbeitungsphasen geben.
Sabine Müller: Das ist oft von Kapitel zu Kapital verschieden. Es gibt bei Sarr ein Kapitel, das nur aus einem Satz besteht, ein Stream of Consciousness. Da muss man sehr auf den Rhythmus achten, damit das innere Sprechen laut wird. Und auf die Satzmelodie – mein Mann arbeitet häufig mit Musik.
Fock: Heavy Metal …
Müller: In meinem Arbeitszimmer höre ich immer die Bässe.

Das treibt voran …
Fock: Ja, das treibt voran und gibt einen Grundrhythmus.

Sie sprachen von Recherchen – wie viel Arbeit fällt da an?
Müller: Wenn ich beim Übersetzen auf ein Problem stoße, dann suche und lese ich im Umfeld. Bei Sarr wird man zum Beispiel mit afrikanischen Mythologien konfrontiert, die man nicht einschätzen kann. Also recherchiert man und liest alles Mögliche dazu. Das Buch ist durchsetzt mit Anspielungen, die wir erkennen und entsprechend übersetzen müssen. Manchmal mussten wir Wörterbücher afrikanischer Sprachen konsultieren: Wolof-Französisch oder Serer-Französisch. Wichtig sind auch literarische Referenzen, wie Roberto Bolaño oder Witold Gombrowicz. Sprachduktus und und Erzählstrukturen erinnern an Bolaños Romane „Die wilden Detektive“ und „2666“.
Fock: Man merkt, dass Sarr damit zu schreiben gelernt hat.

Sie haben im Sommersemester 2022 mit einer Gruppe Studierender am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg zu dem Buch gearbeitet. Hat Sie das beeinflusst?
Fock: Dazu muss man sagen, dass die Art des Übersetzens, die dort gelehrt wird, kein literarisches Übersetzen ist, sondern Fachübersetzen, Dolmetschen. Aber manche Studierende haben ein ausgeprägtes Interesse an Literatur, wobei sie über französischsprachige afrikanische Literatur und insbesondere Sarr wenig wussten. Zudem arbeiteten wir mit Passagen, die ich schon mit meiner Frau übersetzt hatte und die ich gut erklären konnte. Es geht beim literarischen Übersetzen vor allem um stilistische Dinge, unterschiedliche Tonlagen, sprachliche Register und eine gute Beherrschung der deutschen Sprache mit ihrem komplizierten Satzbau. Natürlich haben wir auch Anregungen für unsere Arbeit aufgenommen. Bei manchen Aspekten kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Durch die verschachtelte Erzählstruktur in Sarrs Roman ist es schwierig, die Zeitebenen auseinanderzuhalten, zumal da im französischen Original nicht immer eine klare Linie herrscht. Das geht oft im Deutschen so nicht, also haben wir an einigen Stellen das Tempus der im Deutschen üblichen Zeitenfolge angepasst. Das wurde dann kontrovers diskutiert.

Wie oft hatten Sie Kontakt mit Mohamed Mbougar Sarr?
Fock: Anfangs hatten wir zwei-, dreimal E-Mail-Kontakt. Was schwierig ist, denn seit Sarr den Prix Goncourt bekommen hat, ist er ständig unterwegs, um eine Neuausgabe zu präsentieren – das Buch ist bis jetzt in 33 Sprachen übersetzt worden. Dann gab es zwei Zoom-Meetings, um unsere Fragen zu besprechen. Bei der Buchvorstellung in Berlin haben wir ihn schließlich persönlich kennengelernt.