12. Oktober 2022
von Manfred Loimeier
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W.E.B. Du Bois schreibt über seine Deutschlandreise im Jahr 1936

William Edward Burghardt Du Bois ist eine Legende, zumindest in den USA. Er ist der erste Afroamerikaner, der in Harvard promovierte – im Jahr 1895 –, er wurde Professor in Atlanta, und sein 1903 erschienenes Buch „The Souls of Black Folks“ ist ein Klassiker der US-Literatur. Du Bois war Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung National Association for the Advancement of Colored People, und er leitete die Zeitschrift „The Crisis“, die das zentrale Forum der Autoren der Harlem Renaissance zwischen den beiden Weltkriegen war. Und: W.E.B. Du Bois studierte in Berlin, von 1892 bis 1894, bei Max Weber, bevor dieser nach Freiburg und Heidelberg ging.
Du Bois’ Begeisterung für die deutsche Wissenschaft und Kultur war so ausgeprägt, dass er sogar ein Gedicht auf Deutsch schrieb, Titel: „Das Neue Vaterland“. Da war der 1868 geborene Du Bois gerade einmal 20 Jahre alt und beeindruckt von Reichskanzler Otto von Bismarck. Im Jahr 1936 fuhr Du Bois trotz Warnungen noch einmal nach Europa und verbrachte fünf Monate seiner Reise in Deutschland (W.E.B. Du Bois: „,Along the color line’. Eine Reise durch Deutschland 1936“. Aus dem Englischen von Johanna von Koppenfels. C.H. Beck textura, München 2022, 168 S., 24 Euro).
Vorgebliches Interesse seiner Reise war die duale Ausbildung in den Berufsschulen und Betrieben Deutschlands. Du Bois betrachtete sie als Vorbild für die Arbeiterschaft in den USA. Aber natürlich nutzte Du Bois seine Reise auch für kulturelle Höhepunkte – er besuchte als Opern-Fan die Wagner-Festspiele in Bayreuth, er war beeindruckt von der Opulenz des Deutschen Museums in München. Vor allem aber spürte er der Atmosphäre im Nazi-Deutschland nach, die er in seiner Zeitungskolumne für den „Pittsburgh Courier“ mit besonderem Gespür für Zwischentöne genau beschrieb. Die letzten vier Kolumnenbeiträge über Deutschland schickte er aber erst fort, als er das Land bereits verlassen hatte.

Ausgezeichnete Edition
Dass und wie der Judenhass in Deutschland den Rassismus gegen Afrikaner in den USA noch übersteigt, sorgte bei Du Bois für blankes Entsetzen. Er analysierte die deutsche Gesellschaft jenes Jahres 1936 eher nach Klassen- als nach Rassengesichtspunkten, zumal es der führende deutsche Anthropologe Felix von Luschan war, der die Rassentheorie schon früh für unhaltbar entlarvt hatte.
Es ist dem Herausgeber Oliver Lubrich zu verdanken, diese Zeitungskolumnen Du Bois ausgewählt, zusammengestellt und mit einem hervorragenden Nachwort versehen zu haben. Zudem machen ergänzende editorische Notizen und eine umsichtige Zeittafel aus diesem Band eine nicht nur lehrreiche, sondern auch – gelinde gesagt – bewegende Lektüre.
W.E.B. Du Bois starb im Jahr 1963, nachdem er aus den rassistischen und reaktionären USA in das unabhängig gewordene Ghana übergesiedelt war. Er starb einen Tag vor Martin Luther Kings berühmter Rede beim „Marsch auf Washington“, er starb ein Jahr vor den Antidiskriminierungsgesetzen in den Vereinigten Staaten. Dort trägt ein Universitätsinstitut in Harvard heute seinen Namen, und Du Bois’ Wiederentdeckung auch in Deutschland ist nur zu begrüßen.