20. Juni 2022
von Manfred Loimeier
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Wiederentdecktes von James Baldwin, Neues von Richard Wright und schwer Erträgliches von Robert Jones Jr.

Die Wiederentdeckung afro-amerikanischer Autorinnen und Autoren geht weiter, und wieder ist es der Deutsche Taschenbuchverlag, der dies mit einem weiteren Werk von James Baldwin bewerkstelligt. „Von einem Sohn dieses Landes“ lautet der Titel des neu übersetzten Essay-Klassikers Baldwins, der einst unter dem Originaltitel „Notes of a Native Son“ erschien.
Und es ist geradezu erschütternd, die Aktualität dieser überwiegend autobiografischen Aufsätze wahrzunehmen. Insbesondere die Texte, in denen Baldwin seine Aufenthalte in Paris und in der Schweiz thematisiert, stellen eine beeindruckend nüchterne wie klare Analyse dessen dar, was es bedeutet, US-Amerikaner zu sein, so dass sie als Pflichtlektüre im Englischunterricht dienen sollten. Und zwar nicht nur, weil sie offenbaren, wie sehr das US-amerikanische Gut-und-Böse-Weltverständnis aus der Weiß-Schwarz-Auseinandersetzung aus der Zeit der Sklaverei erwachsen ist, sondern auch, weil Baldwin das US-Selbstverständnis von weißer Überlegenheit mit dem kulturellen Selbstbewusstsein in Europa in Einklang bringt.
Dass sich weitere seiner Aufsätze hervorragend als Urlaubslektüre für New-York-Reisen mit Abstecher nach Harlem eignen, sei vor diesem Hintergrund zurückgestellt, ebenso wie seine die Essaysammlung eröffnende Rezension von Richard Wrights Roman „Native Son“, dem Werk seines literarischen Mentors, das für Baldwins Essaysammlung titelgebend war.

Veröffentlichung nach 79 Jahren

Auch von Wright selbst liegt ein neues Buch vor, und zwar ein überaus neues. Es handelt sich nämlich bei „Der Mann im Untergrund“ nicht etwa um eine Wieder-, sondern um eine Erstveröffentlichung – auch in den USA. Dort war der schmale Roman Wrights seinerzeit abgelehnt worden, weshalb der Autor zumindest die gleichnamige Erzählung daraus formte und 1944 publizieren konnte. 1942 hatte Wright die Geschichte um Fred Daniels, der fälschlich des Mordes bezichtigt wird und sich in die Kanalisation flüchtet, aber eben als Roman verfasst, und erst im Vorjahr erschien dieses Werk vollständig erstmals eben auch in den USA – samt einem Nachwort des Enkels Malcom Wright sowie Richard Wrights Bericht „Erinnerungen an meine Großmutter“.
Es ist schon nachvollziehbar, warum der Roman damals nicht erschien, denn es ist kaum einleuchtend, warum sich die Hauptfigur Daniels, die bei den Erkundungen von unterirdischen Wegen und Häuserkellern Zeuge eines Mordes wird und in Besitz von Geld und Diamanten aus einem Tresor kommt, der Polizei stellt und sich unbedingt des Diebstahls bezichtigen will. Im Zusammenhang der Großmutter-Erinnerungen wird aber klar, wie tiefsitzend der Impuls ist, sich erklären und entschuldigen zu müssen und Rechenschaft abzugeben. Und dieser Roman zeigt auch, wie verschieden die Welten sind, in denen die Nachfahren der vormaligen Sklavenhalter beziehungsweise der vormals Versklavten leben. Die einen oben in der Welt des Tages, die anderen unten, in der Welt der Kanalisation und der Dunkelheit.

Ärgerliches Debüt

Und dann gibt es da noch einen Debütroman von Robert Jones Jr., der sein Buch „Die Propheten“ verkaufstüchtig James Baldwin und einer Litanei an Repräsentanten der Black Community widmet. Es ist politisch hyperkorrekt geschrieben und schildert die homosexuelle Beziehung der beiden Sklaven Samuel und Isaiah, die latente Homosexualität des Farmersohnes Timothy sowie das sexuelle Begehren der unbefriedigten Farmersfrau Ruth, die bei den jungen Sklaven nach Erfüllung trachtet. Das Ganze eskaliert in Mord, Totschlag und Aufruhr, aber dank der magischen Fähigkeiten der Haushälterin, einer Sklavin mit dem einfallsreich sprechenden Namen Maggie, finden Samuel und Isaiah im Jenseits noch zusammen. Das Buch trieft voller Verklärungen von einer nahezu heilen Welt im afrikanischen Mutterland, von ewig gütiger, unermesslich starker und selbstverständlich duldsam überlegener Weiblichkeit, so dass die Lektüre kaum erträglich ist – wäre da nicht das sprachliche Geschick des Autors, der seine Geschichte zugegebenermaßen sehr visuell und sinnlich erzählt.
Besser wartet man aber, bis bald der nächste Klassiker der afro-amerikanischen Literatur erscheint: Der C.H. Beck-Verlag kündigt für September W.E,B. Du Bois „,Along the Color Line‘. Eine Reise durch Deutschland 1936“ an, und das verspricht einen echten literarischen Leckerbissen.

James Baldwin: Von einem Sohn dieses Landes. Aufsätze. Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. dtv, München 2022. 239 Seiten, 22 Euro
Richard Wright: Der Mann im Untergrund. Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence. Kein & Aber, Zürich/Berlin 2022. 239 Seiten, 24 Euro
Robert Jones Jr.: Die Propheten. Aus dem Amerikanischen von Simone Jakob. dtv, München 2022. 543 Seiten, 26 Euro