23. Dezember 2018
von Manfred Loimeier
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Zur Gegenwart der deutschen Kolonialgeschichte

So überfällig die Debatte in Deutschland um die Rückgabe kolonialer Beutekunst aus Beständen des Humboldt Forums in Berlin ist, so sehr lenkt diese Debatte auch vom Kern der Sache ab. Wo Ausstellungsstücke zurückgegeben werden sollen, ist das gewiss keine Frage der Berechtigung, sondern eher der Art der Abwicklung. Und zum einen gibt es durchaus Staaten, die sich durch ihre Kulturgüter in deutschen Museen bestens repräsentiert sehen, zum anderen ermöglichen hier verbleibende Gegenstände durch die Form ihrer Präsentation eine Thematisierung der Zeit des deutschen kolonialen und imperialen Bestrebens. Und es gibt die Option eines globalen Zirkulierens von Kunstwerken.
Das Wichtigste bei dieser Debatte ist, sie weit zu fassen – und eben nicht auf Museumsstücke zu beschränken. Die deutsche Kolonialzeit war, wie die imperiale Phase anderer Kolonialmächte auch, nicht nur eine Zeit des Kulturraubs, sondern mindestens auch der Ausbeutung, Unterwerfung, Vernichtung und Selbstgerechtigkeit. In Tausenden von Büchern der deutschen Kolonialliteratur werden diese Ansprüche auf Besitzungen in Übersee beschrieben – und sie dokumentieren nicht nur das Kolonialdenken der Deutschen jener Zeit, sondern sie prägten es ihrerseits auch. Hans Grimms Roman „Volk ohne Raum“, ein Kolonialroman über das frühere Deutsch-Südwest, ist mit seinem Einfluss auf Adolf Hitlers Expansionsdrang zweifelsohne der offensichtlichste Beleg.
Ähnlich wirken die Ideen der Kolonialzeit in ihrem Einfluss auf das Denken bis in die Gegenwart nach. Populäre Beispiele dafür finden sich in TV-Serien und Reiseprospekten. Gleiches, das Fortbauern eines kolonialen Blicks also, betrifft nicht nur Museen und Literatur, sondern kann unter anderem auch für Film und Malerei geltend gemacht werden. Und der koloniale Blick ist dabei ohnehin nicht nur ein Phänomen der Kunst als Spiegelbild einer vergangen geglaubten kolonialen Haltung, sondern auch Kern des zeitgenössischen Bildes von Afrika. Dieses lässt in Europa und mithin auch in Deutschland kolonial begründete Denkstrukturen nachwirken, wie es die Vertreter der sogenannten postkolonialen Theorie formulieren und belegen, und es blockiert damit einen Kontakt, der auf gegenseitigem Respekt und Wertschätzung beruht.
Der Appell von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und von Michelle Müntefering (SPD), der Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Deutschland müsse sich verstärkt seiner Kolonialgeschichte insgesamt widmen, ist daher nur zu begrüßen – so verspätet er auch kommt. Viel zu lange hat das Auswärtige Amt – im Einklang mit der Kulturpolitik anderer früherer Kolonialstaaten – den global orientierten Bildungsauftrag nur als Form der Selbstdarstellung verstanden und Afrika dabei ohnedies als vergleichsweise uninteressant eingestuft. Selbstverständlich steht hinter diesem offiziellen politischen Umschwung die Erkenntnis, dass Afrika als Kontinent der Rohstoffe und Inventionen neue Aufmerksamkeit verdient, um auch als Ziel für Absatzmärkte, Arbeitskräfte und Investitionen genutzt werden zu können.
Ungeachtet dessen ist es aber auch für Deutschland selbst wichtig, die jahrzehntelang vernachlässigten und als unwirksam erachteten Prinzipien und Prämissen des Denkens und Handels der Kolonialzeit zu überprüfen, um die Grundlagen der eigenen Meinungen von heute zu überdenken. Da ist es nicht mit einer Fachdiskussion um Ausstellungsstücke getan, die übrigens in der Mehrheit der deutschen Museen zu finden sein dürften, nicht nur im viel zitierten Humboldt Forum in Berlin, sondern da geht es um eine breite Auseinandersetzung, die keinen Deutschen unberührt lassen kann. Selbst mit einer Klärung im Fall der Humboldt-Forum-Bestände – die Jahre der Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit stehen erst bevor, stehen erst ganz am Anfang. Auch das muss allen klar sein.